Einleitung

Gerade das Wissen um die Entstehung menschlichen Verstandesdenkens aus einer mit Erkenntnisschranken behaften relativen Welt der Erscheinung, kann uns dazu führen in den Urteilen, die aus diesem Verstandeswissen herrühren, eine gewisse Vorsicht walten zu lassen, was einem Akt der aus Einsicht gewonnenen Demut gleichkommt, während der seine Entstehung nicht reflektierende Verstand meint alles "in den Griff" bekommen zu können, eine Einstellung deren Kurzsichtigkeit das gerade Gegenteil als Folge nach sich zieht, nämlich eine immer mehr um sich greifende Chaotisierung.

In seinem "Höhlengleichnis" hat Plato die Entstehung des menschlichen Bewußtseins in einem Bild ausgedrückt. Er hat darin sein, von spiritueller Einsicht gekennzeichnetes, mystisches (Plato wird eine Einweihung in die ägyptischen Mysterien nachgesagt), mit seinem intellektuellen Bewusstsein zur Deckung gebracht. Er schildert das Beispiel von Menschen, die in einer Höhle angekettet werden. Hinter ihnen brennt ein Feuer und von außen fällt Licht in die Höhle und vor ihnen befindet sich die Wand der Höhle, so dass, wenn hinter diesen Angeketten und dem Feuer sich etwas bewegt, dieses Etwas einen Schatten wirft, der sich auf der Wand abzeichnet und von den angeketteten Personen wahrgenommen werden kann. Und wenn nun diese Angeketten nie etwas anderes wahrzunehmen bekämen, würden sie diese auf der Höhlenwand sich bewegenden Schattenbilder für die einzige Realität halten, die existiert.

Mit diesem Bild möchte Plato das Schicksal der inkarnierten Seele und ihres Bewußtseins verdeutlichen und uns erkenntnistheoretisch die Grenzen aufzeigen. Mittels unserer fünf Sinne nehmen wir eine Wirklichkeit wahr, die in Wirklichkeit eine Schattenrealität ist. "Maya" wie sie im Yoga genannt wird. Und das sich aus solcher Beschränktheit entwickelnde Bewusstsein, trotz heute immer mehr wachsender Kenntnisse im atomaren und biologischen Bereich, ist und bleibt ein Schattenbewusstsein. Die sich entwickelnde Herausbildung dieses Schattenbewusstseins nachzuvollziehen würde im Moment den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, dennoch kann mit Sicherheit gesagt werden, dass auch die sogenannte "historisch-kritische Herangehensweise" mit der die Theologen sowohl an die Bibel als auch an die Neuoffenbarung nach Lorber herangehen, Teil eines solchen Schattenbewusstseins ist. Und aus dieser historisch-kritischen Methode resultiert ein gedankliches Abstraktum, eine Art Verstandes-Jesus intellektueller Abstraktion und historischer Analyse.

In seinem Bild stellt Plato die rhetorische Frage, was denn wohl geschähe, würde einer der Angeketten von seinen Fesseln befreit und würde man ihm einen Blick auf die tatsächliche Realität gewähren, die erst die Schatten hervorbringt. Würde er dieser Wahrnehmung glauben? Bzw. hätte er sich an das Licht der tatsächlichen Wirklichkeit gewöhnt und die Dinge in diesem Licht betrachtet und würde sodann zu seinen ehemaligen Mitgefangenen zurückkehren und versuchen denen nahe zu bringen, sie sähen nur eine Schattenrealität, würden diese ihm glauben? Plato beantwortet seine rhetorische Frage, man würde denjenigen auslachen und behaupten, er hätte sich bei seinem Ausflug die Augen verdorben. Es lohne nicht den selben Weg zu gehen und jeder, der versuche sie dazu zu bringen, der müsse umgebracht werden.

Und genau so stellen Theologen ihren an Hand der historisch-kritischen Methode gewonnenen gedachten Jesus, dem von so vielen (unter anderem auch mir) erfahrenen lebendigen Jesus der Neuoffenbarung gegenüber (nicht durchs bloße Lesen erfahren). Hier bläht sich wissenschaftliches Bewusstsein zum intellektuellen Richter auf und übernimmt die Rolle des Großinquisitors, wie in dem gleichlautenden Kapitel von Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“. Der dort geschilderte Großinquisitor beweist dem in der Handlung wieder zur Erde zurückgekommenen Jesus, dass man seiner nicht brauche, dass man seine Fehler ausgemerzt und seine Lehre verbessert habe, dass das Volk unter der weisen Führung der Kirche wesentlich besser aufgehoben sei und dass man überhaupt allen Beteiligten den allergrößten Gefallen tue, wenn man ihn, Jesus, schnellstmöglich dorthin zurücksende, von wo aus er gekommen sei. Im Falle Lorbers beweist die historisch-kritische Methode "glasklar", daß der Jesus der Neuoffenbarung mit dem aus den Bemühungen der Theologen und ihrem Bibelstudium entstandenen Jesus nichts zutun hat und von daher im Christentum auch nichts zu suchen habe. Hier hat sich ein aus der Schattenwirklichkeit herausgebildetes Bewusstsein in seinen eigenen Fesseln gefangen genommen und verlangt danach, alles ihm nicht untertane in den selben Bann zu schlagen.

Exemplarisch möchte ich dieses falsche auf dem Thron sitzen des Intellekts an Hand einer Bibelstelle ausführen: In Lukas 17 Vers 20 und 21 wird Jesus nach dem Reich Gottes gefragt und soll geantwortet haben: "Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's mit Augen sehen kann, man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! Oder: da! Denn siehe das Reich Gottes ist mitten unter euch." Kommentar der Theologen: "Luthers Übersetzung "inwendig in euch" (statt mitten unter euch) leistet dem Missverständnis Vorschub, es handle sich nur um ein Innenreich der Seele." (Lutherbibel erklärt, Bibelanstalt Stuttgart 1974)

Während Luther die mystische Deutung vom Reich Gottes im Herzen der Menschen noch zulässt ("inwendig in euch", er hat sich u. a. als Herausgeber einer mystischen Schrift betätigt, der sog. "Theologia Deutsch"), wird von den heutigen Theologen das mystische Element quasi exorziert.

Somit betätigt sich rationalistische Theologie nicht mehr als Vermittlerin, sondern als Verschließerin des Himmels und ist in einem ähnlichen Zustand wie seinerseits der Tempel zu Jerusalem.

Mit und durch Jesus wurde der Menschheit jener mystische Wesensteil, der verborgene innere Jesus oder Christus oder Gottesfunke geschenkt, der den inneren Himmel im Menschen darstellt. Das haben Mystiker aller Zeiten und Glaubensrichtungen immer wieder erlebt.

Im evangelischen Bereich findet man meiner Kenntnis nach, dieses Wissen heute nur noch in Taize, eine spirituelle Gemeinschaft in Frankreich oder in derHahn'schen Gemeinschaft, im katholischen Bereich in einigen Klöstern, zuweilen vermischt mit östlicher Zen-Meditation, jedoch kaum in größeren Kreisen der Volkskirche.

Den entscheidenden Unterschied zum derzeit gängigen Christentum kirchlicher Prägung sehe ich daher in der Betonung des inneren Christusgeistes und damit verbunden in der Beschreitung des inneren Weges. Das Himmelreich ist inwendig in euch, sagt Christus, und auch Paulus betont das Leben und Handeln aus diesem inneren Christus heraus. Der innere Weg beruht daher auf zweierlei Voraussetzungen: Zum einen auf der Kenntnis jenes inneren göttlichen Wesensteils, zum anderen auf einem "zum Schweigen bringen" des äußeren Weltmenschen und seiner Alltagsgedankenwelt. Das bringt uns in die Nähe der östlichen Yogis und Eingeweihten, die ebenfalls mittels Konzentrations- und anderen Übungen ihren äußeren Menschen zum Schweigen bringen, damit das Göttliche durch sie wirken kann. Obwohl in der Bibel keine direkten Anleitungen zu solchen Übungen enthalten sind, so wurden doch solche auch von christlichen Mystikern gemacht. Gerade das Johannes-Evangelium läßt sich im mystischen Sinn als Anleitung zu einem Weg zur Wiedergeburt interpretieren, in der Art, daß der Leidensweg Christi im Inneren nachvollzogen wird mit den Stationen Fußwaschung, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzigung, mystischer Tod, Grablegung und Auferstehung. In den sog. Neuoffenbarungsschriften nach Jakob Lorber, in denen das im Joh.-Evangelium im Telegrammstil Enthaltene in ausführlicher Weise geschildert wird, findet sich eine solche Anweisung zur Meditation, in der gleichzeitig die Nähe zu den östlichen Wegen klar zum Ausdruck kommt. Jesus sagt dort zu seinen Jüngern: "Dieses Versenken (in das Innere des Geistes) habe ich euch auch anempfohlen als ein geeignetes Mittel, die Seele frei und rein zu machen von allen Flecken und Makeln ihrer Selbstsucht und dadurch zu mir zu gelangen. Übet euch auch darin, damit das innere Auge sich mehr öffne und ihr an euch erfahret, was der Geist alles offenbaren kann, wenn er erst in euch lebendig geworden ist." (Das große Evangelium Johannis, Bd. 11, Kap. 52 nach L. Engel) In ähnlicher Weise, wie die Propheten von den Juden verfolgt und oft getötet worden sind, haben auch die Kirchen die vom heiligen Geist inspirierten Mystiker zumindest mundtot zu machen versucht oder sie als nebensächlich abgetan, da das dort geoffenbarte Geistesgut nicht den Interessen des kirchlichen Apparates entspricht. Teilweise mit der Begründung, das in der Bibel festgehaltene Wort sei das Ende der göttlichen Offenbarung. Was letztere Auffassung anbelangt, so scheint es mir als eine recht herbe Zumutung, wenn man einem die Menschheit liebenden Gott unterstellt, er habe sich nach einer einmaligen Offenbarung als Mensch in höhere, unzugängliche Regionen zurückgezogen und der Menschheit dafür ein Buch hinterlassen, das es nun zu studieren gelte. (Wovon die Gläubigen Jahrhunderte auch noch ausgeschlossen waren.)

Wie bei den Pharisäern und Schriftgelehrten hat sich auch bei den Amtskirchen der menschliche Intellekt auf einen Thron gesetzt, der eigentlich dem Heiligen Geist gebührt. Mit diesem in Kontakt zu kommen, wird in den wenigsten Fällen gepflegt, bzw. sein Wirken wird auf die vom Intellekt gesetzten Grenzen reduziert und allenfalls noch als Rinnsal geduldet. Jesus hatte seinen Jüngern den Heiligen Geist verheißen, der sie in alle Wahrheit und Weisheit leiten würde, und diese waren somit auch keine Schriftgelehrten, sondern Geistgelehrte (was alle wahren Christen sein sollten). Dieser Geist, den sie an Pfingsten empfingen, befähigte sie zu Handlungen und Heilungen, zu denen sie zuvor nicht in der Lage gewesen wären. In welcher Weise der Geist die Jünger im Inneren über bestimmte Fragen belehrt hat, ist - abgesehen von den Apostelbriefen und der Offenbarung des Johannes - nicht bekannt.

Dieser Geist hat sich in den letzten 150 Jahren verstärkt (auch zuvor hat er nicht geschwiegen) zu Wort gemeldet und über verschiedene Mittler eine Reihe von Offenbarungen kundgetan, die uns einen genaueren Einblick in das damalige Geschehen zu Jesu Lebzeiten geben wollen, desgleichen in die Schöpfung und den Plan Gottes zur Rückholung der gefallenen Geister. Daß aus dieser Sicht auch die anderen Religionen, insbesondere der Yoga, anders beurteilt werden müssen als in der gängigen kirchlichen Lehrmeinung, kann keinen überraschen. Vor einer wie auch immer gearteten Überheblichkeit Andersgläubigen gegenüber hat Jesus schon seine Jünger gewarnt, die sich selbst gerne zum auserwählten Volk zählten. "Darum sollet ihr nicht verächtlich auf die Heiden sehen - denn ich sage euch: Es sind darunter Gerechtere als unter dem Volk der Juden je gewandelt sind" (Das große Evangelium Johannis, Bd.11, Kap. 52, nach L. Engel). In einschlägigen christlichen Kreisen wird allem, was mit innerem Weg, Konzentration und Meditation zu tun hat, der gängige Vorhalt der "Selbsterlösung" gemacht, dem ich Folgendes entgegnen möchte: Die innige Verbindung, ja Vereinigung mit dem inneren Christus, dem göttlichen Selbst (im Indischen "Atma<n>") genannt) ist sowohl in der christlichen Mystik als auch auf den östlichen Wegen ein erstrebenswertes Ziel. Meditation und Konzentration sind Möglichkeiten und Wege zu diesem Ziel. Das Erreichen dieses Ziels, was einer Erlösung gleicht, kommt nur durch das Mitwirken und die Gnade dieses inneren göttlichen Wesensteils zustande.

Die angebliche Selbsterlösung, womit östliche Wege gerne schlecht gemacht werden, ist in Wirklichkeit eine Erlösung durch das göttliche Selbst (den Gottesfunken im Herzen), die jedoch mit eigenen Bemühungen verbunden ist. Der Vorwurf der Selbsterlösung ist eine gängige Diffamierung in christlichen Kreisen, die ihren Glauben an Jesus benutzen, um sich in bequemer Weise der Herausforderung durch die östlichen Religionen zu entziehen bzw. sich über diese zu erheben. Daß Jesus jedoch etwas anderes war als ein Meister, der lediglich versucht habe, die östlichen Lehren vom göttlichen Selbst dem Westen zu vermitteln, wie das in der östlichen Tradition stehende Lehrer gerne darstellen, möchte ich ebenfalls betonen und die Essenz über ihn aus den christlichen Offenbarungen im folgenden darstellen.

Methodische Voraussetzungen

Obwohl es letztlich übersinnliche Erlebnisse sind, die den Hintergrund dieser Schrift bilden, so soll doch vor diesem Hintergrund eine intellektuelle Verarbeitung der verschiedenen geistigen Strömungen geleistet werden. Es ist an einen solchen Standpunkt nicht unberechtigt, die Anforderung nach logischer Widerspruchsfreiheit zu stellen. Das heißt, es dürfen über ein und denselben Sachverhalt keine sich widersprechenden Aussagen gemacht werden. Es existieren jedoch in der geistigen Welt, dem sog. Jenseits, wie nachfolgend gezeigt wird, verschiedene strukturelle Ebenen, die untereinander im formallogischen Sinne nicht widerspruchsfrei zusammenpassen, sondern deren unterschiedliche Qualitäten bei einem Vergleich berücksichtigt werden müssen.

Das bedeutet, daß Aussagen über Wahrheiten oder Tatsachen, die eine Gültigkeit auf einer bestimmten geistigen Ebene besitzen, auf einer höheren oder tieferen Ebene nicht in der gleichen Weise zu gelten brauchen (etwa Aussagen über die Trinität, über Gott, über Jesus usw.).

Daher ist es sinnvoll, bei der Beurteilung einer bestimmten Schrift oder Offenbarung eine Standortbestimmung vorzunehmen, das heißt eine Einschätzung zu treffen, auf welcher geistigen Ebene das zu beurteilende Werk gehalten ist. Erst danach kann ein Urteil über die Richtigkeit dieses Werkes sachgemäß gemacht werden. Etwa durch den Vergleich mit einem Werk eines anderen Offenbarers, der jedoch aus derselben Ebene heraus sich kundtut, oder indem ein Werk aus einer höheren Ebene herangezogen wird und man untersucht, was es über die jeweils einzuschätzende niedere Ebenen zu sagen hat. Daher sollen zunächst die verschiedenen Ebenen aufgezeigt werden, um ein qualifiziertes Urteil über eine bestimmte geistige Richtung machen zu können. So z. B. ist es unsinnig, etwa die Werke von J. Lorber und Anita Wolf nebeneinanderzustellen, Widersprüche festzustellen und dann eines der beiden zu verwerfen, da beiden Offenbarungen eine jeweils andere geistige Ebene zu Grunde liegt. Leider ist ein derartig fehlerhaftes Verfahren heute gang und gäbe.

Solare Herangehensweise

[NS.01_069,07] "Bei Gott geht die Weisheit also aus der Liebe hervor wie das Licht aus der Flamme. Wenn auch demnach die Dinge in ihrer Verschiedenartigkeit von der göttlichen Weisheit gestellt und geordnet werden, so kann aber doch niemand mehr in Abrede stellen, daß sie im Grunde des Grundes endlich dennoch samt der Weisheit aus der Liebe hervorgehen müssen. - Nun sehet, da wir solches nun sicher einsehen, so muß es ja auch klar sein, daß vom innersten Grunde betrachtet sich alles in der allergrößten Ordnung also ergreifen und finden muß, als wäre äußerlich kein Unterschied dazwischen. Die Mannigfaltigkeit der schon in der vorigen Mitteilung betrachteten Bäume läuft endlich im Samenkorne wieder in die alte, einfache, unterschiedslose, ewige Ordnung zusammen.

[NS.01_069,08] Wer sonach aus dieser inneren Ordnung, oder noch mehr deutsch gesprochen, wer aus seiner inneren Liebe zu Mir, als dem Grundkeime aller Wesen, sich selbst und alle die Wesen betrachtet, der wird überall eine und dieselbe Einheit und eine und dieselbe sich überall ergreifende Ordnung finden!

[NS.01_069,09] Betrachtet zum Beispiel den Baum des Lebens oder das geschriebene Wort, sowohl des Alten als des Neuen Testaments: wie viele tausend Äste, Zweige und Wurzeln möget ihr wohl an demselben erkennen? - Nicht eine Wurzel, nicht ein Ast, nicht ein Zweig sieht dem andern ähnlich. Dem Äußern nach scheint sich alles zu widersprechen. Lehrsätze über ein und dasselbe lauten verschieden. Prophetische Voraussagen über ein und dasselbe Ereignis sind von verschiedenen Propheten auch verschieden bezeichnet. Sogar die vier Evangelisten erzählen ein und dieselbe Sache mit anderen Worten und unterscheiden sich auch in verschiedenen Zahlenangaben. Ja sogar manche Orte geschehener Tatsachen werden häufig nicht völlig übereinstimmend bezeichnet, und so variieren auch nicht selten die Zahlen der Zeit. - (Bei manchen Lorberfreunden soll jedoch alles mit dem wortwörtlichen Lorbertexten übereinstimmen. d. Verf.)

Wer nun von der äußerlichen Anschauung auf den innern Zusammenhang kommen will, der wird den Weg doch sicher verfehlen und wird das Zentrum so schwer treffen, wie jemand, der von außen einen Baum anbohren und behaupten möchte: wie er da den Bohrer angesetzt habe, so müsse er damit bis zum Kerne dringen. So er aber hernach den Gang seines Bohrers untersuchen wird, da wird sich doch sicher zeigen, daß er mit seinem Bohrer den Kern um mehrere Zoll verfehlt hat. - Wenn er aber den Baum eher spaltet und bohrt dann vom Kerne nach außen, wird er da wohl möglicherweise je die Rinde verfehlen können? - Warum denn nicht? - Weil im Kerne alles in eins zusammenläuft. - Aber im Äußern ist der Kern durchaus nicht zu finden. Es könnte jemand nur, wie ihr zu sagen pflegt, durch einen blinden Zufall mit seinem Bohrer das Zentrum treffen. Was wird ihm aber solches wohl nützen? Wird er darum nun imstande sein, bei jedem Baume, den er wieder anbohrt, das Kernzentrum zu treffen?" (Hervorhebungen von mir) J. Lorber, die natürliche Sonne, Kap. 69

Einen solaren Standpunkt einnehmen bedeutet nach der Erläuterung Jesu, den Standpunkt eines aus dem Geiste Wiedergeborenen einnehmen, nicht etwa sich das persönliche Gotteszentrum als Besonderheit der Lorberwerke herauszunehmen und alles andere abzuurteilen, wo dieses nicht enthalten ist, und aus einem Geist der Liebe heraus die verschiedenen Werke zu betrachten, wobei in den Werken Lorbers bekanntlich drei Grade der Wiedergeburt unterschieden werden, die sich somit auch in unterschiedlichen Graden von Liebe und Weisheit unterscheiden. Wenngleich ich diese Bedingung bislang nicht in vollem Umfang erfülle, so sind es doch viele Erlebnisse sowohl in als auch außerhalb meines physischen Körpers, ähnlich denen, die im sog. Gesicht des Oalim (J. Lorber, Haushaltung Gottes Bd. 2, Kap. 72) geschildert werden, durch die ich mich zu den weiteren Ausführungen berechtigt und aufgefordert fühle.

Das bedeutet, dass auch die sog. Neuoffenbarung letztlich nur aus der Einheit mit dem Geiste Gottes in uns richtig verstanden werden kann und nicht durch ein noch so genaues Lesen und aus dem Weltverstand herrührendes Ergründen. Sollten wir dieser Aufforderung Jesu nach dem Beschreiten des geistigen Weges nicht nachkommen, was wiederum zur Folge hätte, daß die Neuoffenbarung allein mit dem menschlichen Verstand interpretiert wird, wird der Lorber-Bewegung früher oder später dasselbe Schicksal zu Teil werden, wie der heutigen Theologie. Das intellektuelle Schattenbewußtsein wird sich der Neuoffenbarung bemächtigen und daraus eine Lorber-Theologie entwickeln, die in Ansätzen bereits ersichtlich ist und die aus dem lebendigen Jesus, der sich durch J. Lorber und andere nach ihm neu geoffenbart hat, ein aus den Schlacken des Weltverstandes herrührendes kristallisiertes Schattenbild erzeugen.

Sprachspiele und Mißverständnisse

Erschwerend kommt hinzu, daß jedes einzelne Werk teilweise ganz eigene Termini verwendet und daß auch unterschiedliche Termini für ein und dieselbe Sache verwendet werden. Z. B. wird die Seele im allgemeinen mit "Astralkörper" bezeichnet, während hingegen Intermediarius dafür den Terminus "siderischer Leib" verwendet. Bei Bertha Dudde umfasst der Begriff "Seele" auch das, was bei Lorber "essentieller Geist" genannt wird, während der Begriff der "substantiellen Seele" mehr die seelischen Bestandteile aus den Naturreichen und insbesondere die tierischen Bestandteile bezeichnet, die für sich genommen, nicht denk und lernfähig sind. Unterschiebt man also den Seelen begriff Lorbers der Dudde Offenbarung, so kann bei einem solchen Verfahren bei Dudde nur eine Karikatur herauskommen, da das Verfahren als solches gewissermaßen Äpfel mit Birnen gleichsetzt. Zuweilen werden auch identische Termini für unterschiedliche Inhalte benützt, so z. B. wird üblicherweise mit "Atma" der Gottesfunke bezeichnet wird, der aus einer höchsten göttlichen Ebene stammt und das Abbild der Trinität im Menschen darstellt, während Rudolf Steiner "Atma" als Begriff für einen umgearbeiteten, vergeistigten physischen Leib verwendet.

In manchen christlichen Kreisen ist das Wort "Esoterik" oder auch der Begriff "New-Age" (Neues Zeitalter) inzwischen zu einer Art Schimpfwort geworden (ähnlich wie "okkult") und wird mit Geschäftemacherei und Dämonen in Verbindung gebracht, während andererseits in anthroposophischen Kreisen das Wort "Mystik" mit etwas diffus Unklarem in Verbindung gebracht wird, dem die mehr wissenschaftliche Herangehensweise und hellsichtige Erkenntnisfähigkeit Rudolf Steiners überlegen sei. Wenn beispielsweise das Wort "okkult" an sich ganz neutral nichts anderes als "verborgen" bedeutet, so hat sich doch im Sprachgebrauch mancher Gruppen ein pejorativer (schlechtmachender) Sinn eingebürgert, was dann so viel bedeutet, wie "mit dunklen Mächten im Bunde", was meist auf die östlichen Wege wie Theosophie, Anthroposophie, ja selbst auf die Neuoffenbarung nach J. Lorber angewandt wird. Dasselbe gilt für die Bezeichnung "esoterisch", was an sich neutral im Gegensatz zu "exoterisch" ein Ausgerichtetsein auf das Innere höhere Selbst im Menschen ausdrücken will.

Damit wollen sich manche die Auseinandersetzung mit solchen geistigen Strömungen ersparen und bereits durch solchen Wortgebrauch ein abqualifizierendes Urteil fällen.

Durch derartige Sprachspiele werden Barrieren und Abwehrmechanismen erzeugt, die einer rationalen Kommunikation und einem verträglichen Miteinanderumgehen im Wege stehen.

Zum nächsten Kapitel:

Sichtung der verarbeiteten Werke